Ó. Guðmundsson: Snorri Sturluson – Homer des Nordens

Titel
Snorri Sturluson – Homer des Nordens. Eine Biographie


Autor(en)
Guðmundsson, Óskar
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
447 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anita Sauckel, Institut für fremdsprachliche Philologien, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Der Isländer Snorri Sturluson (1178/79–1241) verfasste die sogenannte „Prosa-Edda“, die „Heimskringla“ („Weltkreis“), eine Chronik der norwegischen Könige von der Urzeit bis zum Jahr 1177, die in 16 Königssagas abgehandelt wird sowie die selbstständige „Óláfs saga helga“ („Die Saga von Olaf dem Heiligen“). Snorris auf Altisländisch verfasste Werke sind bis heute für die Skandinavistik Quellen von unschätzbarem Wert. Im „Gylfaginning“ genannten Teil seiner Edda stellt er die nordische Mythologie dar und erläutert in den sogenannten „Skáldskaparmál“ und dem „Háttatal“ die äußerst komplexe Skaldendichtung.

Óskar Guðmundsson hat mit „Snorri Sturluson. Homer des Nordens“ eine ausführliche Biografie des bedeutenden isländischen Gelehrten für interessierte Laien geschaffen. Der Autor berichtet unter anderem von Snorris Jugendjahren in Oddi, dem isländischen Zentrum mittelalterlicher Gelehrsamkeit, wo er unter seinem Lehrer und Ziehvater Jón Loptsson eine gründliche Ausbildung, besonders in der Dichtkunst, erhielt. Jón Loptsson selbst war mit dem norwegischen Königshaus verwandt und der mächtigste und gleichzeitig gelehrteste Mann Islands dieser Zeit. Sein Ziehsohn sollte im Laufe seines Lebens in Jóns Fußstapfen treten und seinerseits zum größten Grundbesitzer Islands aufsteigen. Zweimal wurde Snorri im Laufe seines Lebens zum Gesetzessprecher gewählt und bekleidete somit das höchste politische Amt Islands. Auch am norwegischen Königshof hielt man ihn in höchsten Ehren. Zudem war er ein enger Vertrauter des norwegischen Herrschers, der den mächtigen Isländer jedoch am 23. September 1241 auf dessen Hof Reykholt ermorden ließ.

Óskar Guðmundssons Biographie vom „Homer des Nordens“ spart nicht an genealogischen Angaben von Snorris Zeitgenossen und wichtigen Verwandten, zeichnet detailliert Heiratsbündnisse und andere Verwandtschaftsbeziehungen nach; dies geschieht in einer Ausführlichkeit, die selbst Kenner der altisländischen Literatur, die besonders in der Sagaliteratur sehr häufig mit ausführlichen Genealogien konfrontiert werden, als anstrengend empfinden müssen. Ereignisse wie Hochzeiten und Thingversammlungen werden, wo möglich, genauestens datiert. Als Quelle dient dem Autor vornehmlich die „Sturlunga saga“, deren größten Teil die von Snorris Neffen Sturla Þórðarson verfasste sogenannte „Íslendinga saga“ ausmacht. Diese berichtet von den Geschehnissen auf der nordatlantischen Insel von 1183 bis zum Ende des isländischen Freistaates in den Jahren 1262/63 und gilt historisch als weitaus zuverlässiger als andere Sagagattungen. Quellenkritik wäre jedoch auch im Fall der „Sturlunga saga“ angebracht gewesen. Feststellungen, wie beispielsweise „Die Sturlu saga baut offensichtlich auf den Berichten eines Augenzeugen auf […]. Die ausführlichen Beschreibungen der Stube in Hvamm […] und des wortgetreuen Wortwechsels zwischen Sturla und Gudný belegen dies“ (S. 186f.), überzeugen den kritischen Leser nicht unbedingt von der Richtigkeit geschilderter Begebenheiten.

Das einleitende Vorwort von Rudolf Simek nimmt auf die Ausführungen Guðmundssons keinerlei Bezug, versucht dem Leser aber die altisländische Literatur sowie die Lebenswelt Snorri Sturlusons näherzubringen. Óskar Guðmundsson behandelt das literarische Werk des Isländers stiefmütterlich; der Literat Snorri Sturluson tritt zugunsten des Machtpolitikers in den Hintergrund. Der deutsche Untertitel „Homer des Nordens“ entspricht nicht dem prägnanten isländischen Titel „ævisaga“ („Biographie“) und wird dem Schöpfer bedeutender altisländischer Literatur nicht gerecht, da es sich bei Snorri definitiv um eine historisch greifbare Persönlichkeit handelt. Ebenfalls nicht aus der isländischen Originalausgabe übernommen wurde veranschaulichendes Zusatzmaterial, wie beispielsweise Karten. Gelungen ist dagegen der Versuch, dem kulturhistorisch interessierten Laien einen Eindruck vom Alltagsleben und der Sachkultur des mittelalterlichen Island zu vermitteln. Basierend auf den Ausgrabungsberichten von Snorris Wohnsitz Reykholt, rekonstruiert Óskar Guðmundsson dessen Anwesen, das in seiner Gesamtheit eher einem ausländischen Fürstensitz als einem typisch isländischen Hof geähnelt haben muss (S. 189).

Insgesamt ist „Snorri Sturluson. Homer des Nordens“ nicht nur die einzige auf Deutsch erschienene Biographie über diese bemerkenswerte historische Persönlichkeit des mittelalterlichen Island, sondern auch eine detailreiche Darstellung des Lebens eines „Gigant[en] der isländischen Literatur“.1

Anmerkung:
1 Rudolf Simek, Vorwort, S. 9.